Am letzten Freitag bekräftigten die Aktionärsvertreter im Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG ihren Plan, das Traditionsunternehmen zu zerschlagen. Gleichzeitig endeten im größten Stahlwerk des Konzerns die Betriebsratswahlen. Beide Ereignisse sollten Thyssenkrupp-Beschäftigte – insbesondere die Stahlbeschäftigten – als Warnsignal verstehen.
Das Aufsichtsgremium gab dem Vorstandsvorsitzenden von Thyssenkrupp, Miguel López, vorzeitig einen neuen Vertrag. López hatte erst kürzlich seinen Plan verkündet, den Konzern zu zerschlagen und nur noch eine Finanz-Holding mit einigen Hundert Beschäftigten übrigzulassen, die die Anteile an den filetierten und selbständigen einzelnen Sparten verwaltet. Um seine Unterstützung für dieses Arbeitsplatzmassaker zu unterstreichen, hat der Aufsichtsrat López nun sogar einen Fünf- statt wie bisher einen Drei-Jahresvertrag angeboten.
Gleichzeitig gab der Aufsichtsrat grünes Licht für den nächsten Schritt der Aufspaltung, den Börsengang der Marinesparte Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS). Da dieser als so genannter Spin-Off geplant ist, also die Aktien einfach anteilmäßig an die bestehenden Aktionäre ausgegeben werden, landet kein einziger Cent in den Kassen des Konzerns. Die Aktionäre verdienen sich dagegen mit der Kriegsproduktion eine goldene Nase.
TKMS hat aufgrund eskalierender Kriege und der weltweiten Aufrüstung pralle Auftragsbücher bis 2040. Der vom ehemaligen IG-Metall-Bezirkssekretär aus Nordrhein-Westfalen, Oliver Burkhard, geleitete Konzern beschäftigt rund 6500 Menschen und sucht weitere Werften, um U-Boote und Kriegsschiffe zu bauen.
Die bislang auf Kreuzfahrtschiffe spezialisierte Meyer Werft in Wismar, die zuletzt einen Disney-Kreuzer baute, wird zukünftig im Auftrag von TKMS Kriegsschiffe bauen. Der Thyssenkrupp-Konzern will seine Marinesparte jedoch nur zu 49 Prozent an die Börse bringen, also die Mehrheit behalten, weil er so hochprofitabel ist.
Das ist bei der Stahlsparte anders. Im Interview mit der Welt am Sonntag schloss López nicht aus, dass der Konzern seine Beteiligung an Thyssenkrupp Steel unter 50 Prozent verringern könnte.
Der Aufsichtsratsvorsitzende Siegfried Russwurm, wie López ehemaliger Siemensmanager und zuletzt von 2021 bis 2024 Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), begründete die Vertragsverlängerung für López ausdrücklich mit dessen Arbeit bei Thyssenkrupp Stahl: „In den vergangenen zwei Jahren hat Miguel López die strategische Neuaufstellung von Thyssenkrupp mit enormer Energie sowie klarer Zielsetzung vorangetrieben und dabei wichtige Fortschritte erzielt.“ Das gelte insbesondere für den 20-prozentigen Einstieg des tschechischen Milliardärs Daniel Křetínský, der mindestens 50 Prozent des Stahlbereichs übernehmen soll, wenn es nach den Aktionären geht.
Um den Stahlbereich für die EP Corporate Group (EPCG) Křetínskýs attraktiv zu machen, sollen 11.000 der 27.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. 5.000 Stahlarbeiterinnen und -arbeiter sollen direkt ihren Arbeitsplatz verlieren, 6.000 Arbeitsplätze sollen wegfallen, indem sie ausgegliedert werden. Hier befürchten vor allem die Beschäftigten bei Rail & Steel (ehemals Eisen und Häfen), in der Verwaltung und bei zentralen Diensten davon betroffen zu sein.
Von den 3000 Stahlarbeitern der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM), an denen Thyssenkrupp die Hälfte der Anteile hält, zählt der Konzern 1500 zu denen, die er loswerden – sprich: „ausgliedern“ – will. Die HKM-Beschäftigten hoffen derzeit darauf, dass die Salzgitter Stahl AG, die 30 Prozent der HKM-Anteile besitzt, zumindest einen Teil der Produktion aufrechterhält. Sollte das nicht eintreffen, wird das Werk abgewickelt.
Die IG Metall und ihre Betriebsräte unterstützen diesen Kurs. Sie haben zwar López in einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne kritisiert, indem sie López-Porträts mit der Aufschrift „López not my CEO“ und „López Not My King“ zur Schau stellten. Aber inhaltlich lehnen sie seine Ziele nicht ab. Die IG Metall-Betriebsräte erklärten direkt nach der Bekanntgabe der Vernichtung von 11.000 Stahlarbeitsplätzen, dass sie die Augen „vor der Realität der schwachen Konjunktur“ nicht verschließen.
Jürgen Kerner, zweiter Vorsitzender der Gewerkschaft IG Metall und stellvertretender Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp, hat dies am 18. Juni in einem Gastbeitrag für die Wirtschaftswoche nochmals klargestellt: „Die Arbeitnehmerseite weiß um ihre Verantwortung. Sie hat sich immer offen für neue Lösungsansätze gezeigt und hat mehrfach bewiesen, dass sie bereit ist, auch schmerzhafte Prozesse konstruktiv zu begleiten. Das wollen wir auch weiterhin so halten.“
Der Thyssenkrupp-Gesamtbetriebsratsvorsitzender Tekin Nazzikol bekräftigte am gleichen Tag in einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, er habe von Anfang an klargemacht: „Der Umbau muss sozialverträglich erfolgen.“
Die heuchlerische Kritik an López seitens der IG Metall und ihrer Betriebsräte soll davon ablenken, dass sie dem Abbau der 11.000 Stellen und den damit verbundenen Angriffen – 10-prozentige Lohnsenkung und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der verbleibenden 16.000 Beschäftigten – uneingeschränkt zustimmen. Was sie von López und dem Konzernmanagement erwarten, ist ihre Einbeziehung in diese „schmerzhaften Prozesse“.
Kerner schreibt: „Die Position der Arbeitgeberseite erleben wir allerdings als zunehmend verhärtet und kompromissunwillig. So ist im Konzern eine Situation entstanden, die die Probleme einer Lösung nicht näherbringt, sondern diese vielmehr verschärft.“
Der IG-Metall-Landeschef Knut Giesler, Stellvertreter von Russwurm im Aufsichtsrat bei Thyssenkrupp Stahl, verhandelt derzeit mit dem Stahlvorstand über die konkrete Umsetzung der Kahlschlagspläne. Auch er ärgert sich darüber, dass der Vorstand sich nicht von ihm und Seinesgleichen beraten lässt.
„Der Arbeitgeber hat nur Zahlen vorgelegt, zum Beispiel, dass wir mit Tausenden Stellen weniger auskommen müssen,“ heißt es in einem Flugblatt der IG Metall. „Aber gleichzeitig hat der Vorstand keinen blassen Schimmer, ob und wie der Betrieb mit weniger Beschäftigten fortgeführt werden kann.“
Giesler und die IG Metall wollen die Zerschlagung des Konzerns und den damit verbundenen Arbeitsplatzabbau nicht verhindern, sondern mitgestalten. Das belegt Gieslers Vorschlag, zunächst in einem „Probebetrieb“ zu testen, ob der Konzern mit deutlich weniger Personal fortgeführt werden könne.
In diesem Zusammenhang verkündet der Ausgang der vorgezogenen Betriebsratswahl im größten deutschen Stahlwerk, dem Thyssenkrupp-Werk im Duisburger Norden mit rund 13.000 Beschäftigten, nichts Gutes. Die IGM-Liste errang 30 Sitze (plus 2) im 39-köpfigen Gremium. Gemeinsam mit den zwei Angestellten (minus 2), die aufs engste mit der IGM kooperieren, verfügen sie über eine alles beherrschende Mehrheit im Betriebsrat.
Bei den anderen sieben „oppositionellen“ Listen gab es einige wenige Verschiebungen. So hat Binali Demir vom Bündnis Sahra Wagenknecht (zuvor Linkspartei) seinen langjährigen Sitz im Betriebsrat verloren. Demir war einer der beiden Betriebsräte, die gegen die vorgezogene Neuwahl gestimmt hatten.
Doch weder er noch ein Vertreter der anderen sieben Listen hatten klar gemacht, dass die Zerschlagung des Gesamtkonzerns, der Verkauf der Stahlsparte, die Schließung von Stahlwerken und die Vernichtung von jedem vierten Arbeitsplatz nur gegen den Apparat der IG Metall zu verhindern ist.
So vermuteten nicht wenige Beschäftigte bei den anderen Kandidaten weniger inhaltliche als eigennützige Motive. Dementsprechend lag die Wahlbeteiligung nur bei 55 Prozent. Dadurch schrumpft der Wahlerfolg der IG Metall auf eine Zustimmung von weniger als 39 Prozent der Gesamtbelegschaft.
Dennoch werden die IGM-Betriebsräte die Wahl jetzt als Grundlage nutzen, um die massive Vernichtung von Arbeitsplätzen gegen die Belegschaft durchzusetzen. Das sehen sie als ihre Hauptaufgabe an.
Sie werden behaupten, man könne nichts gegen das Arbeitsplatzmassaker in der Stahlindustrie tun und es nur „durch Sozialtarifverträge abfedern“. Doch die Krise in der Stahlindustrie ist keine Naturkatastrophe, sondern eine Folge des Bankrotts des kapitalistischen Systems, das die Bedürfnisse der Gesellschaft dem Profithunger milliardenschwerer Oligarchen unterordnet. Auf dem Rücken der Arbeiter wird ein erbarmungsloser Kampf um Rohstoffe, Energie und Absatzmärkte ausgetragen, der sich – wie im Nato-Krieg gegen Russland und dem US-Israelischen Krieg gegen den Iran – zu einem dritten Weltkrieg ausweitet.
Die Stahlindustrie ist von den Folgen besonders betroffen – von der Konjunkturkrise im Allgemeinen, der Absatzflaute der Autoindustrie, die zu den Hauptabnehmern von Stahl zählt, und dem Preiskampf auf dem Weltmarkt.
Die Gewerkschaftsfürsten mit ihren hohen fünf-, sechs- und siebenstelligen Einkommen reagieren darauf, indem sie die Belegschaften der Kriegspolitik und den Profitinteressen der Aktionäre ausliefern. Die Kriegskredite von einer Billion Euro begrüßte der IG-Metall-Vorstand in einem Pressestatement als „gutes Signal“. Als der Zeitenwende-Kanzler Scholz (SPD) Ende letzten Jahres die Stahlindustrie als „unverzichtbar“ für Deutschland bezeichnete, schwärmte Nasikkol, Scholz habe „die Zeichen der Zeit erkannt“ und „konkrete Maßnahmen versprochen, um die system- und sicherheitsrelevante Stahlindustrie zu stärken“.
Doch man kann Arbeitsplätze nicht durch die Umrüstung auf Kriegsproduktion verteidigen. Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten bedrohen das Leben der gesamten Menschheit. Die Verteidigung der Arbeitsplätze muss daher direkt mit dem Kampf gegen Militarismus und Krieg verbunden werden.
Wir rufen die Stahlarbeiter von Thyssenkrupp und alle 100.000 Konzernbeschäftigten auf, am Aufbau von Aktionskomitees mitzuwirken. Kontaktiert uns! Es ist jetzt die Zeit, aktiv zu werden, sonst droht die Zerschlagung des Konzerns. Schreibt eine Whatsapp-Nachricht an die Mobilnummer +491633378340 und registriert euch gleich über das folgende Formular.